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Film Noir, modern: DAS BLAUE ZIMMER

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Am kommenden Donnerstag startet DAS BLAUE ZIMMER – LA CHAMBRE BLEUE in den deutschen Kinos. Der Film hatte Weltpremiere in Cannes, er markiert die Rückkehr Mathieu Amalrics auf den Regiestuhl. Zugleich ist Amalric auch Hauptdarsteller des eklektisch erzählten Krimis nach Simenon-Vorlage. Wir haben DP Christoph Beaucarne ausführlich interviewt.

1:1,33 ist ungewöhnlich. Wie kam es dazu?

Christophe Beaucarne: Durch das quasi quadratische Format ließ sich bei dieser Simenon-Adaptation ein Gefühl von Enge erzeugen, ohne dass man die Kamera zu bewegen hatte. Ein Beispiel: Bei den Liebesszenen im »Blauen Zimmer« wollten wir, dass die Körper sich innerhalb des Bildrahmens bewegen, wir wollten ihnen nicht folgen. Wegen der Horizonta- lität der Körper im Bett innerhalb eines relativ hohen Bildes hat man oft nur Teile der Körper im Ausschnitt – ziemlich speziell! Meistens sind wir bei dem, was Julien Gahyde vielleicht gerade durch den Kopf geht. Mit dem 1,33-For- mat kann man im Bild die Aufmerksamkeit umlenken, so als ginge sein Blick auf etwas anderes als die Person ihm gegenüber. Man kann seinen Kopf am unteren Bildrand lassen, etwa weil sein Blick gerade von der Wand oberhalb des Gesichts seiner Partnerin angezogen wird, und es bleibt dabei schön. Wenn man bei 1:2,35 einen Kopf in einer Ecke plaziert, ist das schlecht kadriert. Bei 4:3 hingegen bestimmt das formal Fotografische das Bild. Das Format passt auch gut zu den Gerichtsszenen, in denen es viele Vertikalen im Bild gibt mit dem Richter, der erhöht sitzt. Was ich auch an dem Format mag, ist dass es einem erlaubt, den Darsteller förmlich in den Bildrahmen hinein- zuzwängen und ihn so zu isolieren, denn Julien Gahyde ist letztlich doch auch ein Einsamer. Das 4:3-Format hatte ich nach dem IN- SAS (Filmschule in Belgien, Anm. d. Red.) fallengelassen, wir wollten alle nur noch Scope machen! Jetzt bei dem Film habe ich es wiederentdeckt, und ich finde es für ihn sehr gut.

Hat die Tatsache, dass es ein Film Noir ist Ihre Lichtsetzung bestimmt?

Christophe Beaucarne: Nicht so sehr. Eher hat mich der Fortgang der Erzählung geleitet. Der Film sieht nicht wie ein typischer Kriminalfilm aus. Er ist wirklich originell konstruiert und recht komplex geschrieben. Bis hin zum Prozess gibt es ständig Rückblenden mit Off-Stimmen, die auf die Gerichtsszenen gelegt sind. Der Film ist ein bisschen wie altmodisches Kino à la Chabrol mit Verbrechen aus Leidenschaft in der Provinz, aber er ist modern konstruiert und kadriert. Wir hatten viel natürliches Licht, und ich habe mit wenig Schärfentiefe gedreht. Die Tonalität ist recht kühl, vor allem für das Haus des Ehepaars Julien/ Delphine, den Ort des Verbrechens. Das einzige ein wenig stilisierte Motiv ist das Zimmer, in dem der Film auch anfängt. Wir haben in einem echten Hotelzimmer gedreht und hatten drei Scheinwerfer; es war der einzige Ort, wo ich ein paar mehr Mittel zur Verfügung hatte. Die ganzen Befragungen im Gericht sind hingegen entsättigter. Ich mag sehr jene Szene, in der die Leidenschaft zwischen den Liebenden aufkommt. Wir hatten sie als Dämmerungsszene drehen wollen, aber die Sonne kam wieder hervor, eines schönes, scharfes, flach einfallendes Wintersonnenlicht. Mathieu hat die Szene später mit einer Musik ähnlich der von VERTIGO unterlegt.

Haben sich das eingeschränkte Budget und die nur fünf Wochen Drehzeit Einfluss auf Ihre Technik-Entscheidungen ausgewirkt?

Christophe Beaucarne: Ja, total. Ich wählte die Sony F65, mit der ich schon zweimal gedreht hatte, und ich wusste, dass ich nicht viel Filmlicht haben und eher mit Abhalten von Licht arbeiten würde. Die F65 ist sehr gut bei niedrigem Beleuchtungsniveau und auch in der Farbwiedergabe. Und beim Dreh der sommerlichen Szene, wo sie in Les Sables d’Olonne in den Ferien sind, waren wir am Strand inmitten von 20.000 Menschen; da die Kamera aber äußerlich nicht so beeindruckt, hat uns niemand beachtet. Diese Szene war sehr bunt, und mit der F65 habe ich diese kräftigen und schönen Farben festhalten können. Als Optiken hatte ich Master Primes, wegen ihrer Lichtstärke. Hinterher habe ich das ein bisschen bereut. Ich hatte sie auch bei LA BELLE ET LA BETE, aber da war das einfacher, da hatte ich unglaubliche Dekors und eine totale Kontrolle über das Licht. In der prallen Sonne machen die Master Primes jedoch ein etwas hartes Bild. Jetzt habe ich gerade Leica-Objektive mit T 1.4- Öffnung in Verwendung, die sind weicher, runder. Ich hätte sie auch bei LA CHAMBRE BLEUE nehmen sollen, aber da hatte ich sie noch nicht getestet. Zudem hatten wir kein großes Budget! Mit der F65 drehen zu können war schon ganz gut. Bei ihr ist es ideal, lichtstarke Optiken für die Nachtszenen zu haben und weichere, weniger lichtstarke für Außen-Tag. Denn selbst wenn man filtert, riskiert man, dass die Großaufnahmen bei Außen-Tag zu scharf werden und die Hautporen zu sehr herauskommen.

Wie verlief, während der Vorbereitung und dann beim Dreh, der Austausch mit Mathieu Amalric?

Christophe Beaucarne: Die Motive hat er ganz alleine gesucht und hatte dabei sehr präzise Vorstellungen vom Dekor. Er zeigte mir regelmäßig Fotos, die realen Orte lernte ich aber immer erst am Drehtag kennen. So funktionieren wir zusammen, und das ist ein guter Antrieb. Diese Art der Zusammenarbeit erinnert mich an THE FRENCH CONNECTION (US 1971), wo der Operator eigentlich Dokumentarkameramann war und nichts von der Szene wusste. William Friedkin, der Regisseur, ließ ihn in einen Raum reinkommen und er filmte, was er sah… Wenn man einen Raum neu entdeckt, entwickelt man einen speziellen Blick und will das Beste aus ihm rausholen. Wir hatten vor den Dreharbeiten über den generellen Stil der Szenen gesprochen; mit diesen Gesprächen im Kopf konnte ich dann am Drehort improvisieren. Umso mehr natürlich, weil Mathieu in dem Film mitspielt – man musste vorher über die Szenen gesprochen haben! Für die Gerichtsszenen hatte Mathieu von der Ausstattungsabteilung richtige Untersuchungsakten anfertigen lassen. Die legte er dann echten Beamten vor, die sich untereinander nicht kannten und sich im Prozess dann mehr oder weniger so verhielten wie in einem echten, um ganz ernsthaft zu einem Urteil zu kommen. Wir hatten Schienen gelegt und die zwei Stunden, die ihre Debatten dauerten, habe ich ohne Unterbrechung in alle denkbaren Richtungen gefilmt, ich versuchte zu kriegen, was ich kriegen konnte. Anschlussprobleme hatte ich dabei nicht, denn der Prozess erstreckt sich im Film über mehrere Tage. Zum Glück, denn die Sonne trieb ein ständiges Versteckspiel! Ich positionierte mich an strategisch günstiger Stelle und dunkelte die Fenster von einer Seite ab. Mit Mathieu geht alles immer sehr schnell, denn wir mögen die gleichen Sachen und sind meistens einer Meinung. Er hat immer auch sehr spezielle Einfälle. Es kann bei ihm vorkommen, dass er innerhalb einer Szene von einer Erzählper- spektive in die andere springt, etwa vom Hauptdarsteller zum Richter. Es ist, finde ich, ein brillanter Film.

 

DAS BLAUE ZIMMER – LA CHAMBRE BLEUE

FR 2014, 76 min

R Mathieu Amalric

K Christphe Beaucarne, AFC, SBC
SzB Christophe Offret
KB Dorothée Guiraud
T Olivier Mauvezin
L Jean-Pierre Lacroix
KA Fabienne Octobre
D Mathieu Amalric, Léa Drucker Stéphanie Cléau u.v.a.
M Grégoire Hetzel
S François Gédigier
COL Raymond Terrentin
F 1:1,33, Farbe
P Alfama Films, Paris
WV Alfama Films
V Arsenal (DE) Kinostart 2.4.2015 (DE)

Hier der Trailer:

In einem aktuelles Interview zu dem jüngsten Werk, für das Beaucarne für den César nominiert wurde – DIE SCHÖNE UND DAS BIEST – können Sie mehr über Ihn erfahren, auf Französisch:

Foto oben: Still aus DAS BLAUE ZIMMER

© Arsenal Filmverleih/nh

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